Kreislaufwirtschaft kann nur digital funktionieren

Ein Interview mit Moritz Obexer und Thomas Meyer von Mineral Minds

Mit der Mantelverordnung soll die Baubranche einfach und zirkulär werden. Den Kreislauf zu fördern und die Akzeptanz für Ersatzbaustoffe zu verbessern ist auch Ziel von Mineral Minds: Das Netzwerk soll Kreisläufe schließen und Transportwege verkürzen. 

Wie passen Verordnung und Plattform zusammen, und welche Rolle spielt die Digitalisierung? Antworten liefern Moritz Obexer, Gründer und Geschäftsführer von Mineral Minds, und Thomas Meyer, Experte der Plattform für Ersatzbaustoffe.

Ziel der EBV ist es, das Prinzip der Kreislaufwirtschaft umzusetzen und die Akzeptanz und den Einbau von mineralischen Ersatzbaustoffen zu verbessern. 

Herr Meyer, nach jahrelanger Planung gilt seit August 2023 die Mantelverordnung und mit ihr die Ersatzbaustoffverordnung. Welche Bedeutung haben MantelV und EBV aktuell für die Baubranche?

Thomas Meyer: Ich sehe zwei Phasen. Zunächst einmal werden die nächsten Jahre über noch etliche Übergangsfristen bestehen, bis der harte Switch kommt. In dieser Zeit wird es sehr viele Umstellungen geben. Gerade die Neuerungen in der EBV bringen Unklarheiten bezüglich der Umsetzung mit sich. Das Zeitmanagement auf der Baustelle wird sich stark verändern, der Prozess vom Anfall von Bodenmaterial – das nicht mehr zwingend Abfall ist – bis hin zum Einbau ebenso. Es gibt neue Prüffristen, die eingehalten werden müssen, sowie Erweiterungen und Verschärfungen in der Analytik.

Nach Ende der Übergangsfristen müssen die neuen Regelungen durch die Länder umgesetzt werden und in allen Prozessen verankert sein. Einige Ländern wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz haben dafür bereits sehr gute Konzepte. Ich bin sicher: Wenn am 31. August 2031 der Stichtag zum Übergang erreicht ist und die letzte Übergangsfrist endet, kann das ein gutes System werden, das den Umgang mit Sekundärrohstoffe für alle Beteiligten vereinfachen kann. 

Herr Obexer, wenn alles einfacher wird – wieso braucht es dann noch eine Plattform wie Mineral Minds?

Moritz Obexer: Wenn die Dinge einfacher werden, wäre das schön, aber das ist nicht der Kern der MantelV und damit auch der EBV. Diese wurde nicht mit dem Ziel entworfen, das System einfacher zu machen, sondern das Prinzip der Kreislautwirtschaft umzusetzen und die Akzeptanz und den Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen zu verbessern. Dafür wird es einerseits Vereinfachungen geben, aber andererseits auch Aspekte, die komplizierter werden. Gerade die Probenahme, Analytik und Dokumentation, sowohl auf der Baustelle als auch bei den jeweiligen Annahme- und Abgabestellen, sind durch die Einführung komplexer geworden. Solche Neuerungen führen im Markt auf allen Seiten zu Veränderungen. Vor diesem Hintergrund sucht die Branche nach Lösungen und technischer Unterstützung, die diese Veränderung vereinfacht und Sicherheit bietet. Genau das bieten wir mit unseren Plattformlösungen.

Unterstützung beim Wissensmanagement ist ein Bedarf, den vor allem kleinere Unternehmen haben. Spiegelt sich das in Ihrem Kundenstamm wider?

Obexer: Auf dem Mineral Minds Netzwerk agieren deutschlandweit mittlerweile über 4.500 Unternehmen – vom kleinen, lokalen Einmann-Baggerbetrieb bis zum Infrastrukturriesen. Es ist schon richtig, dass die großen Infrastrukturunternehmen ganze Stoffstromabteilungen beschäftigen, die sich mit dem Thema EBV intensivst auseinandersetzen. Aber auch hier gibt es Unsicherheiten und offene Fragen bei den Fachkräften. Genauso wie bei den mittelständischen und kleinen Unternehmen. Schlussendlich müssen sich alle Akteure im Markt fragen: Wie gehe ich mit Abfällen und mineralischen Ersatzbaustoffen um? Wie versorge ich meine Baustelle und wie entsorge ich von der Baustelle? Wie zertifiziere ich meine Produkte? Welche Fristen und Intervalle muss ich einhalten? Da fehlt oft weniger das Wissen, sondern es geht vielmehr um Fragen der Handhabung und der Integration in die täglichen Prozesse und Abläufe. Das muss sich erst einspielen.

Sie bieten also beides: Stoffstrommanagement und Wissensmanagement?

Obexer: Unser Angebot umfasst grundsätzlich zwei Systeme: erstens die Softwarelösung „Stoffstrom as a Service“, bei der von vom Anlegen eines Projekts über die Planung, Kalkulation und Ausführung bis hin zur Abwicklung, Dokumentation, sowie der Abfall- und CO2-Bilanzierung alles erfasst werden kann. Zudem erinnert das Tool die Anwender daran, dass ihr Produkt neu zertifiziert werden muss oder dass neue Analysen nötig sind, welche durch das Tool automatisch ausgewertet und eingestuft werden können. Überdies zeigt der intelligente Matching-Algorithmus kostengünstige und nachhaltige Ver- und Entsorgungswege auf. Im Nachhinein entsteht dadurch eine lückenlose Dokumentation für jede Baustelle, aber auch für jeden Annahme- und Abgabestandort. Zusätzlich enthält „Stoffstrom as a Service“ alles Wissenswerte zur EBV in verschiedenen Video- und Printschulungen.   

Als zweite Lösung kommt das Mineral Minds Netzwerk hinzu, das jede Baustelle in Deutschland kostenlos mit zahlreichen potenziellen Versorgern, Entsorgen und Materialannahme- und -abgabestellen für jegliches mineralische Material verknüpfen kann.

Mit Blick auf das Netzwerk: Von wie vielen Stellen sprechen wir?

Obexer: Das Mineral Minds Netzwerk bietet Zugriff auf über 30.000 Materialannahme- und -abgabestellen. Wir sprechen mit allen Akteuren: mit der Bauseite, mit Versorgern und Entsorgern, aber auch mit Ingenieurbüros, Laboren und weiteren Instanzen. Mit diesem Netzwerk können wir Kunden heute das gesamte Portfolio zur Verfügung stellen: von Z0, in Zukunft BM-0, bis hin zu DK-IV-Material, egal ob Boden, Bauschutt, Straßenaufbruch, oder andere mineralische Bauabfälle – genauso bei der Versorgung von Baustellen mit Schotter, Kies, Sand oder mineralischen Ersatzbaustoffen. Der Prozess der Vernetzung der Akteure ist immer der gleiche und immer kostenlos für alle Mitglieder im Mineral Minds Netzwerk.

Hilft das Kunden auch, bei knapper werdendem Deponieraum noch wirtschaftlich arbeiten zu können?

Obexer: Der Preis ist immer ein Faktor – auch in der Kreislaufwirtschaft. Wir suchen mit unseren über 4.500 deutschlandweiten Partnern und unserem intelligenten Algorithmus nach dem ökonomisch und ökologisch optimalen Weg für unsere Kunden und deren Baustellen. Im Entsorgungsfall ist das meist die Verwertung in einem im Umkreis gelegenen technischen Bauwerk. So erzielen Kunden gute Preise und „Abfall“ bzw. mineralische Ersatzbaustoffe werden so gut es geht einer Wiederverwertung zugeführt und somit in den Kreislauf rückgeführt. Dadurch kann einerseits knapper Deponieraum geschont und andererseits ein wirtschaftlicher Weg gefunden werden.

Dabei sind wir noch nicht auf einen dritten Faktor zu sprechen gekommen: Neben Zirkularität und dem Preis spielt auch die Entfernung eine Rolle. Wird sie bei Ihrem Algorithmus berücksichtigt?

Obexer: Ja, Entfernungen sind ein wichtiger Bestandteil des Matching-Algorithmus unserer Software. Wir sind bestrebt für unsere Kunden die wirtschaftlich beste Möglichkeit mit der kürzesten Entfernung zu finden. Auch aus ökologischer Sicht ist eine optimierte Route erstrebenswert, da somit erhebliche Mengen an CO2 eingespart werden können. Zwischen lokalen Produkten und Sekundärmaterial abzuwägen und gleichzeitig möglichst kurze Transportwege zu gewährleisten, ist eine besondere Herausforderung. Für eine einfache Bodenplatte könnte man zum Beispiel ein Naturprodukt aus einem Steinbruch in der Nähe verwenden. Ein solches Material ist für diesen Verwendungszweck aber eigentlich viel zu hochwertig. Es könnte genauso gut ein mineralischer Ersatzbaustoff verbaut werden, beispielsweise ein Recyclingmaterial oder gewisse Schlacken. Genau solche Möglichkeiten bietet unsere Plattform: Anwender können Angebote vergleichen und auch die Aspekte Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit entsprechend gewichten – und dabei noch Geld sparen.

Meyer: Genau dort setzt die EBV an, indem sie die Einsatzmöglichkeiten von mineralischen Ersatzbaustoffen in technischen Bauwerken nach umweltanalytischen Aspekten ganz klar regelt. Unter welchen Voraussetzungen diese eingebaut werden dürfen hängt dabei von verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel der Einbauweise, der Beschaffenheit der Deckschicht und des umgebenden Materials, aber auch ob sich die Maßnahme in einem Wasserschutzgebiet befindet, ab. Die wasserrechtliche Genehmigung, welche bisher teilweise eine Hürde zur Verwendung von Ersatzbaustoffen dargestellt hat, entfällt mit dieser Regelung und soll somit die Akzeptanz zur Verwendung von mineralischen Ersatzbaustoffen auch in sensiblen Bereichen weiter steigern.

Lassen Sie uns zum Abschluss in die Zukunft schauen: Haben wir in zehn Jahren, wenn die Mantelverordnung greift, die Zirkularität in der Baubranche erreicht?

Obexer: Für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft in der Baubranche ist die MantelV mit der EBV ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber ohne die passende Technologie wird es nicht funktionieren. Ob mit unserer Plattform oder auf anderen Wegen: Kreislaufwirtschaft kann nur funktionieren, wenn sie digital ist. Wir brauchen Vernetzung, Wissensmanagement und Kooperationen. Zumal die Anforderungen noch steigen werden. Die Frage wird nicht mehr nur sein, ob der Bau im Budget fertig wird, sondern zum Beispiel auch, ob die ESG-Anforderungen erfüllt werden. Geschlossene Kreisläufe und CO2-Bilanzen werden langfristig an Bedeutung gewinnen. Vor diesem Hintergrund geben wir der Branche mit unserem Angebot eine Lösung an die Hand.

 

Veröffentlicht im RECYCLING magazin 08/2023